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Negativ, sarkastisch, hoffnungsvoll. Geschichten von mir, meinen Reisen und meinem Weg in die Selbstständigkeit

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10 Tage Vipassana: Schweigen – Meditieren – Einsehen

Viele haben mich, bereits im Vorfeld meines 10-tägigen Vipassana Retreats, gebeten, danach unbedingt davon zu berichten. Wie es mir gefallen hat, ob ich überhaupt durchgehalten habe und was es mir gebracht hat. Und auch danach wollte fast jeder von mir wissen, ob ich jetzt ein neuer Mensch wäre, endlich zu mir gefunden hätte oder wie schwer es war…und hier ist er nun endlich, der langersehnte Bericht!

Aber, ganz gemäß dem Erwartungsmanagement, will ich euch auch gleich vorwarnen: erwartet nicht zuviel Informationen und Details von mir an dieser Stelle!

Warum? Der Hauptgrund ist gar nicht so sehr, dass ich nicht alles, was sich in mir und meinem Leben abspielt, mit aller Welt teilen will. Sondern dass ich glaube, Vipassana ist für jeden etwas anderes, wird jeden ganz individuell zu seinen eigenen An- und Einsichten führen, wird sich für jeden anders anfühlen und für jeden seine eigene Bedeutung und Intensität haben. Außerdem gibt es verschiedene Vipassana-Schulen, die sich in ihrer jeweils gelehrten Technik auch nochmal unterscheiden. Und deswegen möchte ich an dieser Stelle gar nicht so sehr davon berichten, was genau ich während dieser Zeit erlebt habe…so können diejenigen unter euch, die auch mal ein Vipassana Meditationsretreat oder -kurs machen möchten, ganz unbefangen und offen in diesen gehen 🙂

Vipassana in Chom Tong

Aber fangen wir am Anfang an. Wer gerade überhaupt nicht weiß, von was ich spreche, dem empfehle ich einfach, nochmal kurz bei Wikipedia nachzuschauen.
Ende April war ich 10 Tage im Northernvipassana Meditationszentrum (Meditation Center Wat Phradhatu Sri Chomtong Voravihara) in Chom Tong, ca. 60 km südlich von Chiang Mai im Norden Thailands. In diesem Meditationszentrum wird Vipassana nach dem buddhistischen Mönch Ajahn Tong Sirimangalo gelehrt und beinhaltet sowohl Gehmeditation als auch Sitzmeditation. Da ich genau 10 Tage dort war, konnte ich natürlich im Endeffekt nur 9 Tage (also 8 volle und 2 halbe Tage) meditieren. Das hat für mich trotzdem gereicht, um den Anfängerkurs abzuschließen, aber ich hätte im Nachhinein gerne mehr Zeit gehabt.

Der Tagesablauf

Eigentlich sieht jeder Tag während des Retreats gleich aus:

  • aufstehen um 4 Uhr
  • duschen
    ganz in weiß kleiden
  • meditieren
  • Frühstück um 6 Uhr in der “Tempelküche” (gespendetes Essen)
  • Meditation von 7 bis 11 Uhr, nur unterbrochen durch die kurze Rücksprache mit dem Meditationslehrer
  • Mittagessen um 11 Uhr, ebenfalls wieder Almosenessen in der “Tempelküche”
  • meditieren von 12 bis 22 Uhr (manchmal kurz unterbrochen durch die Rücksprache mit dem Meditationslehrer, falls diese am Vormittag entfallen ist)
  • schlafen

Die Regeln

Wer jetzt glaubt, er hat nicht richtig gelesen oder ich hätte wohl vergessen das Abendessen aufzulisten, dem sei gesagt: nein, das stimmt schon alles so wie ich es geschrieben habe. Und das bedeutet tatsächlich: kein Abendessen. Und damit nicht genug…zu den Regeln gehören auch kein bequemes Bett, kein Handy, keine Bücher…man beugt sich also für diesen Zeitraum den 8 buddhistischen Tugendregeln:

  1. Nicht töten.
  2. Nicht stehlen (nichts nehmen, was mir nicht gegeben wurde).
  3. Keuscheit.
  4. Nicht lügen.
  5. Keine berauschenden Getränke und Drogen nehmen.
  6. Nicht nach 12.00 Uhr mittags essen.
  7. Nicht tanzen, singen, Schmuck oder Kosmetik tragen und sich nicht mit Unterhaltung ablenken.
  8. Nicht auf üppigen bequemen Betten zu schlafen.

Ja, und dann noch das SCHWEIGEN! Noble Silence. Das heißt man spricht eigentlich nur einmal am Tag mit dem eigenen Meditationslehrer. Und sonst schweigt man. Also, man darf sprechen, wenn es unbedingt notwendig ist und man eine Frage hat oder eine Information weitergeben muss. Aber man sollte es wirklich versuchen zu vermeiden.
Und auch Mittagsschlaf oder Powernapping ist nicht drin. Aber das macht auch alles Sinn so.

Worum geht es?

Denn es geht um Achtsamkeit (und nicht darum, rumzusitzen und Gedanken zu wälzen oder so). Und diese Achtsamkeit kann man im Buddhismus nur durch Meditation erreichen und dazu muss man sich und seinen Geist „in eine bestimmte Haltung bringen”. Schlafen, reden oder mit dem Handy rumspielen verhindert das irgendwie. Und ich habe tatsächlich nach einigen Tagen selbst gemerkt, wie sehr mich das nächtliche Schlafen oder das Gespräch mit meiner Meditationslehrerin von meinem “aufmeditierten” Achtsamkeitslevel runter geholt haben. Im Buddhismus gibt es 4 Grundlagen der Achtsamkeit:

  1. die Achtsamkeit auf den Körper
  2. die Achtsamkeit auf die Gefühle/Empfindungen (Bewertung als gut, schlecht oder neutral)
  3. die Achtsamkeit auf den Geist (dessen aktueller Zustand bzw. Veränderungen des Zustands, z. B. abgelenkt, konzentriert, verwirrt)
  4. die Achtsamkeit auf die Geistesobjekte (d.h. alle äußeren und inneren Objekte/Dinge, die im Moment wahrgenommen werden).

Das heißt, letztlich geht es um das wertfreie Wahrnehmen des Moments, um absichtsvolles Handeln und das bewusste im Hier-und-Jetzt Sein. Ich glaube ja, dass dies genau der Grund ist, warum sich doch recht viele Menschen aus den westlichen Industrienationen dem Buddhismus zuwenden oder sich zumindest mit dessen Prinzipien oder mit Meditation beschäftigen: endlich mal wieder im Moment leben und nicht in der Vergangenheit oder der Zukunft. Sondern sein, so wie es jetzt gerade ist.

Hauptsächlich geht es aber um die Einsicht in die drei Daseinsmerkmale:

  • Unbeständigkeit (alles ist im permanenten Wandel und vergänglich)
  • Leidhaftigkeit bzw. Unzufriedenheit/Nichtgenügen (weil wir Menschen immer an irgendetwas anhaften)
  • Nicht-Selbst (für mich und wahrscheinlich viele andere auch ein schwer greifbares Konzept, aber ich bin happy mit der “Übersetzung”, dass wir keine Kontrolle haben)

Meine persönliche Erfahrung

Und genau diese Einsicht gewinnt man meiner Erfahrung nach auch während eines Vipassana-Retreats bzw. -Meditationskurses. Zumindest ich habe diese Einsichten gewonnen.
Sättigung wird zu Hunger und Hunger wird zu Sättigung.
Angst ist nur ein Gefühl, genau so wie Hunger, genau so wie Schmerz, genau so wie Hitze, genau so wie Müdigkeit, genau so wie Freude, genau so wie… und alle Gefühle kommen und gehen. Wenn wir es ihnen auch erlauben und sie nicht durch anhaften oder wegdrücken versuchen zu kontrollieren und uns damit wieder ins Leiden bzw. die Unzufriedenheit zu stürzen.
Mich haben meine Einsichten in die drei Daseinsmerkmale auf jeden Fall so nachhaltig beeindruckt, dass es die dann ein paar Tage später noch als Bambus-Tattoo (d.h. nicht mit der Machine, sondern von Hand mit einer Nadel auf einem Bambusstöckchen gestochen) auf meinen Unterarm gab 😉

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Die 5 wichtigsten Erkenntnisse

Bevor es jetzt aber noch zu philosophisch-theologisch wird, kommen wir vielleicht zu meinen ganz praktischen Erfahrungen.

  1. Wer mich kennt, der weiß dass ich “hangry” (=hungry + angry) werde, d.h. ich bin seeeehhrrr schlecht gelaunt, wenn ich hungrig bin. Aber hey, Hunger ist überhaupt nicht so schlimm…ich fand’s voll ok, abends nichts zu essen.
  2. Wer mich kennt, der weiß, dass ich ungefähr nie schweigen. Und dabei war das auch total easy. Mir war auch gar nicht zu reden zu mute. Ich hätte auch gar nicht gewusst mit wem ich über was reden soll. Ich hab mir in meinem Schweigen völlig genügt.
  3. Wer mich sieht, denkt öfters mal ich wäre Handy-abhängig, weil ich gefühlt ständig mein Smartphone in der Hand habe und irgendwas damit mache. Ich habe das ja schon immer abgestritten und die 10 Tage ohne Smartphone haben mir gezeigt, dass ich Recht habe 🙂 Ich habe keinen einzigen Tag mein Handy vermisst, auch nicht meinen Laptop, oder das Internet oder Facebook oder irgendwas. Digital Detox? Mega easy!
  4. Bücher sind wichtiger als Musik. Ich liebe es, Musik zu hören. Aber auch das habe ich nicht vermisst. Sondern lesen. Bücher. Vor allem Fach- und Sachbücher. Wer hätte das gedacht…ich war auf jeden Fall echt überrascht (wieder) zu sehen, wie weit oben Bücher (und Weiterbildung) auf meiner Prioritätenliste ist!
  5. Und zum Schluss wird’s doch noch ein bisschen persönlich: ja, ich bin meinen inneren Dämonen und tiefsten Ängsten begegnet. Und es war eine sehr häßliche und unangenehme Begegnung. Aber das ist ja auch so ein bisschen das, auf was man hinaus will. Und nach ein paar Tagen so mit sich alleine, kommen dann eben genau diese Dinge auch an die Oberfläche. Aber hey, nur wenn man seine Ängste und Schwächen richtig kennt, kann man auch an ihnen arbeiten. Oder? 😉

Würde ich es wieder tun?

Definitiv! Bin sogar schon dabei ein kürzeres Retreat für Juli zu planen…aber dieses Mal hier in Deutschland. Schließlich muss man verfestigen, was man gelernt hat…und ich möchte tägliches Meditieren in meinem Leben nicht mehr missen müssen.

Ich bin stolz auf mich, dass ich den Mut hatte, die 10 Tage Vipassana zu machen und auch durchgezogen habe (ja, ich wollte zweimal abbrechen und gehen während dieser Zeit). Ja, ich bin deutlich gefestigt und gestärkt daraus hervor gegangen und habe ganz viel wichtiges über mich und das Leben gelernt. Ich war noch nie in meinem Leben zuvor soweit außerhalb meiner Komfortzone.
Und ich würde es empfehlen (mindestens 10 Tage). Aber nicht jedem. Ich fand meinen Vipassana-Meditationskurs sehr herausfordernd und mental äußerst intensiv. Ich glaube, man sollte es auf jeden Fall wollen, sich auch bereit dafür fühlen und mental stabil sein. Aber dann kann es eine echte Bereicherung sein und einen Einsichten und Stärke gewinnen lassen, die einem keiner mehr so leicht wegnehmen kann.

Wie oben bereits gesagt, ist ein Vipassana-Bericht etwas sehr subjektives. Wer gerne noch einen anderen Bericht (auch von einer anderen Vipassana-Schule und Technik) lesen möchte, dem empfehle ich den Vipassana-Retreat Post von Auszweit.

Jenny • 30. Mai 2016


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